Geschichte des Dorfes

Der Ehringhauser an sich – eine Chronik der anderen Art
Von Heinz Volmer

Dieser Beitrag versteht sich als eine Chronik der etwas anderen Art. In ihm sollen die
Charakterzüge des Menschen – der hier früher gelebt hat, der heute hier lebt – in (ausgewählten)
historischen Abläufen transparent und für den Leser begreifbar werden.
Als Aufgabe stellt sich die Frage nach dem „Ehringhauser an sich“. Die durchlaufend
maskuline Form (der Ehringhauser) wurde bewusst und in voller Übereinstimmung mit
der (noch?) bestehenden Dominanz des sog. starken Geschlechts in der Welt der
Schützen gewählt.

Alle feministisch gesinnten Leserinnen –oder müsste es konsequent „weiblichen Leser“
heißen(?) – mögen mir verzeihen und großzügig Absolution gewähren.
Eine Klärung vorweg. Der Ehringhauser kommt aus Ehringhausen, nicht von! Hierin unterscheidet
er sich vom (in ecclesia) brüderlichen Nachbarn im Süden, denn der Störmeder
kommt bekanntlich von Störmede.
Diese nicht unerhebliche Nuance belegt die sprichwörtliche Normalität und ausgeprägte
Bescheidenheit, zwei hervorstechende Eigenschaften, die der Ehringhauser im Laufe
der Jahrhunderte mehr im Hintergrund, doch stets selbstbewusst im Sinne von „Ackerbürgerstolz
vor Obrigkeiten“ gelebt hat.

I. These:

Der Ehringhauser war schon immer da!

Widmen wir uns zunächst seiner Herkunft.
Der Ehringhauser kommt aus der Tiefe der Zeit. Sein Kommen geschah nicht nach der
„Methode Abraham“, also im Sinne einer Landnahme nach göttlichem Rat. Sein Kommen
geschah auch nicht nach der Methode „Go West“ als Landnahme in einer neuen
Welt. Der Ehringhauser war vielmehr einfach da! In seiner zurückhaltenden Art hat er
diesen Tatbestand jedoch nicht öffentlich gemacht; er gab seinem geografischen Zuhause
lange keinen Namen.
Das hatte durchaus seinen Grund, lebte er doch zwischen den Verkehrsadern Hellweg
(zu Lande) und Lippe (zu Wasser). Und solche verkehrlichen Netze schworen neben ihren
Vorteilen auch vielfache Gefahren für Leib und Seele herauf. Fanden doch unliebsame
Besucher mit böser Gesinnung leichter den Weg und brachten Not, Krankheit und
Tod. Da hielt man sich lieber bedeckt. Trotz seiner Zurückhaltung hinterließ der Ehringhauser
Spuren: so ein Steinbeil – gefunden 1962 – aus der Zeit um 2000 v. Chr. oder
auch eine Erwähnung im Güterverzeichnis des Klosters Corvey von 877.
Als sich in den folgenden Jahrhunderten die Nachbardörfer Sturmithi, Munichusen, Langen
Eick und Ermelinghusen „einen Namen machten“, konnten und wollten die Altvorderen
hier nicht untätig bleiben.
Im Verlauf von nur einem Jahrzehnt zwischen 1358 und 1368 trat man sichtbar ein in
die
Geschichte und gab sich seinen Namen in den Schreibformen Erderdiuchusen, Ederdiuchusen
und Eringhusen. Das geschah nicht unter dem Klange der Trompeten oder mit
einem dröhnenden Paukenschlag, sondern zunächst dezent in einem privatrechtlichen
Vertrag (1358), wenig später dann im Kartenwerk „Westphaliae Ducatus“ (1368) für ein
breiteres Publikum.
Am 20. VII, 1358 verkaufte „Arnoldus de Aken. famulus, ecclesiae Corbeiensis ministerialis,
curiam suam dictam Akenhof prope Ederdiuchuse mit Bewilligung des Abtes von
Corvey an den Geseker Bürger…“
Die Lage des verhandelten Akenhofes wird mit „prope“ (= bei) und nicht „in“ Ederdiuchusen
angegeben; das Gut zählte damals – ebenso wie andere Einzelhöfe – nicht unmittelbar
zum Dorf.
Der Name Ederdiuchusen unterlag in der Folge weiteren Änderungen und entwickelte
sich über Ederinghusen und Erinkhusen nach 1800 zum heute amtlichen Ortsnamen
Ehringhausen.
Der „ch-Laut“ in der frühen Ortsbezeichnung war übrigens der erste Exportartikel unserer
Ahnen. Bis weit in das letzte Jahrhundert hinein kannte der Ehringhauser kein weiches
„g“. Er sprach deutlich und markant das harte „ch“, also Cheorch (statt Georg),
Chatten (statt Garten) und Chäuse (statt Gänse).
Den Nachbarn aus Geseke hat unsere Sprechweise derart überzeugt, dass er den Ehringhauser
„ch–Urlaut“ importierte und ihn fortan allen Bahnreisenden werbewirksam mit
auf den Weg gab. Von 1850 bis zum Beginn des elektronischen Zeitalters schallte bei
jeder Zugankunft unüberhörbar über alle Bahnsteige das „Hier Cheseke, hier Cheseke“!
Dass auch Wilhelm Tell das Ehringhauser „CH“ als offizielles Kürzel in die Schweizer
Eidgenossenschaft eingeführt hat, klingt charmant, muss aber leider in den Bereich der
Sage verwiesen werden. Zurzeit sollen Bestrebungen laufen, das Ehringhauser „CH“ urheberrechtlich
zu schützen. Die fälligen Tantiemen schon allein aus Cheseke könnten
die Finanzen des Kulturrings erheblich aufbessern.

2. These:

Der Ehringhauser lebt im Grenzland

Bekanntlich prägt sich beim Menschen, der grenznah lebt, ein besonderes Bewusstsein
aus. Er denkt und handelt selbstbewusst, aufrecht, in Maßen stolz und verteidigungsbereit.
Seine Haltung kann mit dem modernen Begriff „Corporate Identity“ treffend definiert
werden. Der „Grenznahe“ ist zumeist von den Zentren weit entfernt.
Dieses Faktum wirkt einerseits negativ auf seine Weltläufigkeit, birgt jedoch andererseits
erhebliche Vorteile, denn „der Kaiser ist weit“.
Der Ehringhauser lebt bis auf den heutigen Tag grenznah. Belege dafür sind die historisch-
politischen Gegebenheiten vom Mittelalter bis heute und eben seine oben genannten
charakteristischen Wesenszüge.
Die angesprochene Grenzlinie verläuft östlich von Geseke. Sie trennte von 800 bis 1100
den westlichen Brukterer-Gau vom östlichen Pader-Gau, sie markierte in der folgenden
Zeit bis 1803 die Grenzziehung zwischen dem kurkölnischen Herzogtum Westfalen und
dem Fürstbistum Paderborn.
Dann übernahmen hier die Hessen (Großherzogtum Hessen-Darmstadt), dort die Preußen
das Regiment. Als östlicher Nachbar hatte wenig später Jerome Bonaparte – ein
Bruder Napoleons – als „Könik Lustik“ in seinem „Königreich Westfalen“ kurzzeitig das
Sagen.
Im Jahre 1816 fielen alle Gebiete diesseits wie jenseits der angesprochenen Grenzlinie
an Preußen. Der Großherzog Ludwig von Hessen übergab am 8. Juli 1816 seine bisherigen
Untertanen aus dem Herzogtum Westfalen mit herzlichem Dank an seine Majestät,
den König von Preußen.
„Wir Ludwig, von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein thun kund und
bekennen hiermit: In Folge der, am Congresse zu Wien über die Gebiets Ausgleichungen
an Deutschland verhandelten und festgesetzten Beschlusse, haben Wir unser Herzogthum
Westphalen… durch einen am 3Oten Juni zu Frankfurt an Main unterzeichneten
Staatsvertrag an Seine Majestät den König von Preußen förmlich abgetreten… Unsere
väterlichsten Wunsche begleiten die Bewohner des Herzogthums Westphalen
…mit dankbarem Anerkennen des Gehorsams und der Anhänglichkeit, welche sie im
Drucke schwerer Zeiten, Uns und Unserem Großherzoglichen Hause stets mit Eifer bewiesen
haben. Gegeben in unserer Residenz Darmstadt den 8ten July 1816.“
Unsere Zugehörigkeit zum Land Preußen endete nach dem 2. Weltkrieg mit der Gründung
des Landes Nordrhein-Westfalen. Ob unter der preußischen Pickelhaube vereint
oder aufgegangen im Lande NRW, Grenzen blieben dennoch. Nunmehr waren es Verwaltungsgrenzen:
Hier der Kreis Lippstadt (1975 Soest) – dort der Kreis Büren (1975
Paderborn), hier der Regierungsbezirk Arnsberg – dort der Regierungsbezirk Minden
(1946 Detmold). Leider zeigt sich noch heute tagtäglich die Grenzlage der Region. Denn
fernsehtechnisch lebt man (fast) im Niemandsland. Die Geschehnisse hier werden von
keinem Regionalsender ernst genommen. Aus Sicht der Sender Ostwestfalen, Münsterland
und Südwestfalen lebt der Ehringhauser fernab an der Grenze.
Auch das trägt der duldsame Ehringhauser mit angeborener Gelassenheit.

3. These:

Der Ehringhauser ist gottesfürchtig.

„Ora et labora“ – „Bete und arbeite“, diesen Wahlspruch des Hl. Benedikt machte sich
der Ehringhauser früh zu eigen.
Er öffnete sich gern der Entwicklungshilfe durch die Mönche des Klosters Corvey – und
zahlte dafür. Doch nicht nur die Ideen der Benediktiner haben es ihm angetan, sondern
ebenso die Verehrung des Apostels Jakobus des Älteren.
Auch wenn man sich nicht selbst auf die große Wallfahrt nach Santiago de Compostela
im Nordwesten Spaniens begeben konnte, so wollte man jedenfalls in Gedanken dabei
sein. Die Ahnen erwählten den verehrten Heiligen zum Schutzpatron des Dorfes und der
Kapelle, deren Existenz seit 1486 urkundlich belegt ist. Zwar kann nicht nachgewiesen
werden, ob das damalige Brauchtum der Wallfahrten nach Compostela die Patronatswahl
entscheidend beeinflusst hat, eine solche Vermutung liegt jedoch nahe, da der
Papst 1478 die Wallfahrt nach Compostela einer Pilgerfahrt ins Heilige Land gleichsetzte
und somit die Verehrung des Hl. Jakobus weiter aufwertete.
Auf eine Wallfahrt zum Grab des Apostels hofft der Ehringhauser noch immer. Dann
muss sie aber im sog. Jakobus- oder Heiligen Jahr geschehen.
Als Heilige Jahre gelten die Jahre, in denen der 25. Juli auf einen Sonntag fällt, so in
2004 und nächstens anno 2010. Vielleicht wird dann der Ehringhauser den Duft des
Weihrauchs aus dem gewaltigen, 50 kg schweren Weihrauchfass riechen und die Statue
des Hl. Jakobus umarmen.
Er hat dem Patron auch viel zu danken:
1551 pfändete und plünderte der Gograf von Anröchte mit 27 Bewaffneten in Langeneicke;
Ehringhausen blieb verschont. In den Wirren des 30jährigen Krieges brachten
Raub, Brandschatzung und Pest schwerste Leiden; man überlebte. Im Siebenjährigen
Krieg wie in der Napoleonischen Zeit drückten schwere Lasten; man überstand.
Vor schlimmen Auswirkungen von Naturgewalten blieb man bewahrt. Selbst bei der
Sturmböe am Sonntag des Schützenfestes 1964 und bei der Gewitterflut am Abend des
6. August 1981 hielten sich die Schäden in Grenzen. Und zum Schützenfest herrscht
(fast) immer gutes Wetter. St. Jakobus „lebt“, jährlich feiert der Ehringhauser sein Patronatsfest.
Das frühere kleine Gotteshaus wurde über Jahrhunderte nach Kräften in Ordnung gehalten.
Trotz mehrerer notwendiger Renovierungen wie z.B. 1648/49, um 1790 und im
Jahre 1829 war die Kapelle zum Ende des 19. Jahrhunderts derart baufällig, dass die
politische Gemeinde am 18. April 1912 den Bau einer neuen Filialkapelle beschloss. Ihr
Standort wechselte nach sehr schwierigen Verhandlungen zwischen dem Ehringhauser
aus dem „Dorf“ und dem Ehringhauser von der „Heide“ von Müllers Garten zum Schulpatt.
Den heutigen schmucken Zustand verdankt das Gotteshaus der Renovierung in der
„Salamonischen Zeit“ zu Beginn der neunziger Jahre (1993) des letzten Jahrhunderts.

4. These:

Der Ehringhauser liebt das Besondere.

1. Besonderheit: der Schemm
Was für London die Themse, für Paris die Seine und für Köln der Rhein, das ist für den
Ehringhauser der Schemm. Er durchströmt das Dorf von West nach Ost, teilt es in die
historischen Teile Dorf und Heide und trägt im Mittelteil auf seinem südlichen Ufer den
Jakobusweg.

2. Besonderheit: der Hohlkamp
Um den kartografischen Mittelpunkt Ehringhausens herum erstreckt sich zwischen
Schulpatt und Triftweg, zwischen Schemm und Heide in nicht geringer Ausdehnung der
Hohlkamp. Der Ehringhauser liebt seinen Hohlkamp als Freifläche, als Wildreservat, als
grüne Lunge. Um diesen Biotop zu erhalten, baute er sein Dorf in Ringform mit den Teilen
Dorf, Heide, Bahnviertel und Westend um den Hohlkamp herum. Der Kreis um den
Hohlkamp ist zurzeit nur noch zum südlichen Triftweg hin offen.

3. Besonderheit: Dorf und Heide
Die beiden Dorfteile sind hervorgegangen aus einer engeren Bebauung nördlich der
„Heerstraße“(frühere Trasse Störmede – Lippstadt), wie sie gelegentlich bezeichnet wurde,
ferner der „Kuhstraße“ (Triftweg) und der mit Namen erhaltenen „Bußecke“. Die
nördlich gelegene frühere Streusiedlung von Einzelhöfen entwickelte sich zur sog. Heide.
Rivalitäten unter Nachbarn sind sprichwörtlich. Wie sich Köln und Düsseldorf „innig“
lieben, ebenso Geseke und Steinhausen, so liebten sich „Dorf“ und „Heide“. Bei Mannschaftsspielen
musste nicht gewählt werden: Dorf gegen Heide!
Bei Hänseleien an der Theke: Dorf gegen Heide. In der Standortbestimmung beim Neubau
der Kirche: Dorf gegen Heide! Und still floss der Schemm.
Der Verkehr jedoch lief uneingeschränkt: hinüber zur Bahn und herüber zu Kirche und
Schule. Ebenso wenn die jungen Männer auf Freiersfüßen gingen.
Und die jungen Frauen ließen es sich hier wie dort gefallen.
Ach, was war es ehedem, in unserem Dorfe wunderschön!

4. Besonderheit: Bahnhof mit Umfeld
Am 4. Oktober 1850 wurde die Bahnlinie- Hamm – Paderborn eröffnet, doch der Ehringhauser
blieb zunächst außen vor.
Umso größer dann seine Freude, als er am 15. November 1881 erstmalig am „Haltepunkt“
Ehringhausen den Zug nach Geseke oder Lippstadt besteigen konnte.
„Oh, liebe Leute, welch‘ ein Glück, per Bahn nach Lippstadt und zurück!“
Täglich konnte er dreimal in jede Richtung fahren. Der Bahnanschluss erschloss ihm
nicht nur die weite Welt, sondern brachte auch Anstellung und Brot.
Als der „Haltepunkt“ im Jahre 1907 zum „Bahnhof 4. Ordnung“ aufgewertet wurde, stellte
der Ehringhauser für den gewünschten Güteranschluss das erforderliche Gelände
„kosten- und lastenfrei“ zur Verfügung und zahlte noch 10 000 Mark drauf.
Die „Bahnhofsmeile“ erfuhr in den Jahrzehnten nach 1881 einen großen
Entwicklungsschub: Gaststätte „Zur Linde“ mit Lastenwaage, Amtsgebäude mit Zweigstelle
der Sparkasse und Sportplatz verbesserten die Lebensqualität des Ehringhausers
in erheblichem Maße.
Auch die Bahnschranke hatte eine besondere Bedeutung, konnte doch mit ihrer Hilfe die
vorher unkontrollierte Zuwanderung aus Mönninghausen nunmehr besser reguliert werden.

5. Besonderheit: Der Friedhof
Wenn der Ehringhauser den Fußweg vom Schemmgraben über den Jakobusweg und
Friedhofsweg bewandert, erreicht er „so und so“ die Endstation, den Friedhof. Er liebt
diesen Ort nicht nur als letzte Ruhestätte der Verstorbenen, sondern auch wegen der
Kommunikation der Lebenden. Was lässt es sich am Orte der Stille herrlich plaudern!
Und man trifft immer jemanden!
Die neueste Entwicklung des Friedhofs zeigt Wunderliches. Ist es doch für Flachländer
ganz ungewöhnlich, dass ebene Flächen zu Terrassen aufgeschüttet werden, so gilt das
nicht für diesen Ort. Und Wundersames geschieht! Auf der mannshoch errichteten neuen
Terrasse kann das „Moses-Phänomen“ bestaunt werden. Moses schlug einst mit seinem
Stab gegen den Felsen und sogleich sprudelte frisches Wasser hervor. Hier
braucht der Ehringhauser nur ein Loch auszuheben, sogleich füllt es sich bündig mit
kristallklarem Nass. Wahrlich ein Wunder!
Zudem wird diese Gräberstätte in ferner Zukunft den Archäologen als Ausgrabungsfeld
dienen. Wo besser als hier können die Unterschiede zwischen Moor – und Dünenleichen
erforscht werden! Man wird in dieser Frage nicht länger auf Zufallsfunde wie beim
Gletscher – Ötzi angewiesen sein.
In diesem Sinne ist dem „Ehringhauser an sich“ eine lange und hoffentlich große Zukunft
beschieden.

PS. Das Original der obigen Chronik ist nachzulesen unter:
http://www.sankt-jakobus-schuetzenbruderschaft-ehringhausen.de/geschichte.html
Rubrik: Geschichte des Dorfes Ehringhausen
(Der Neudruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Verfassers und der Schützenbruderschaft)